In der Rehaklinik werden ca. 350 Leute betreut. Ein kleiner Teil davon sind Schmerzpatienten. Einige noch ganz am Anfang, dankbar über jeden Austausch mit anderen Schmerzpatienten, jede Information & bereit alles zu probieren, was irgendwie Hilfe verspricht. Auch hier ist von schlicht bis intellektuell kompliziert alles vertreten.
Auf der anderen Seite sind Menschen, die leiden schon sehr lange. Eine Patientin hat nach einem Sturz seit 43 Jahren immer Schmerzen. Sie erträgt Berührungen kaum, sie ist dick von den Medikamenten & der so lange eingeschränkten Beweglichkeit. Sie ist nicht gesprächig, aber lieb und mitteilsam, wenn man den richtigen Ton trifft. Sie wird zu Hause durch einen guten Traumatherapeuten betreut, der sie seit Jahren in ihrem Lebenskampf unterstützt.
Mein Unfall war am 08.02.08. Seit diesem Tag habe ich nur dann keine Schmerzen, wenn ich in Vollnarkose auf einem OP-Tisch liege. Die Skala geht bei „so ein entzündliches Buckern im Hintergrund“ los & hört auf bei „entmenschtes zuckendes Fleisch“, ein Schmerz so heiß & weiß, er löscht meine Persönlichkeit aus, er raubt mir die Stimme und allen Mut! Nur Morphintropfen helfen dann noch.
Der mich nach 2OPs am Gleichgewichtsorgan, gegen den starken Drehschwindel (der ist fast weg), immer öfter begleitende Tinnitus, ständige Schulterschmerzen (Impingementsydrom) und ein Ödem im Handgelenk sind nur einige weniger spektakuläre Begleiterkrankungen aber trotzdem richtig Kacke.
Ich habe 2x ca. 2 Wochen lang eine Infusionstherapie gegen Tinnitus gemacht (ohne Erfolg), ich habe 1 Woche Neurologie mit Hirnleistungstests geleistet usw. usf.!
Ich lese alles zum Thema Schmerz, ich habe 2 Jahre Gruppentherapie mit anderen Schmerzpatienten hinter mir. Ich habe nur damit aufgehört, weil ich das Leid anderer und ihren Kampf nicht mehr mit anhören konnte, ohne zu verzweifeln.
Ich habe inzwischen gute Ärzte und ebendiesen Traumatherapeuten und ich probierte jedes Medikament. (Nur die Sache mit dem Chillipflaster haben die Ärzte und ich uns dann doch nicht getraut, da es im Gesicht noch nie gemacht wurde.)
Aber auch mich treibt die Hoffnung, dass es etwas od. Jemanden gibt, der mir etwas für meinen Kampf an die Hand gibt.
So sitzen wir also da, alle 15 Schmerzies in der Veranstaltung „Schmerzbewältigung“. Der Raum hat an 3 Seiten bodentiefe Fenster, draußen scheint die Sonne. Für Depressive sicher super, für jeden Schmerzpatienten suboptimal. (Wer Migräne oder einen schweren Kater hat, weiß, wie sich grelles Licht anfühlen kann! Genau, schmerzhaft! )
Ich sitze da also mit Sonnenbrille, sehr cool, wie Lagerfeld.
Die Psychologin, die uns heute was zum Thema Schmerzbewältigung erzählen will, kommt zu spät. Alle hocken unbequem auf dem Gestühl und wünschen sich weg.
Natürlich ist meine Sonnenbrille gleich mal ein „ach, mit Sonnenbrille, haben sie vergessen, die abzunehmen?“ wert.
Ich bin das ja gewöhnt, da ich schon in der sehr grell beleuchteten Berliner U-Bahn dafür angepöbelt wurde und erkläre in kurzen ruhigen Sätzen, was es damit auf sich hat.
Trotzdem hatte sie mich nun zu ihrem Beispielpatienten erkoren. Ich sollte nun ihre Aussagen bestätigen.
Was ich nicht wußte, war, dass sie das schon mit einer anderen Patientin in der letzten Veranstaltung zum Thema Schmerzen, vor meiner Anreise, versucht hatte. Es war in Stress, Tränen, Beschimpfungen und Verzweiflung geendet.
Nun warteten die erfahrenen Teilnehmer, wie ich mich schlagen würde, zumal einige mich bei „Körperwahrnehmung“ schon erlebt hatten.
Es ging anfangs um Atmung & Entspannung. Nette Handouts wurden nicht etwa herum gegeben, sondern auf den Boden gelegt, so dass sich jeder bücken musste. Als Jemand alle aufhob und auf einen Stuhl legte, legte sie alle wieder auf den Boden. War es unbewusst oder Masche, egal. Diese Frau konnte Patienten nicht leiden. Das wurde mir hier klar.
Soweit so gut. Das Atmung und Entspannung zusammen hängen, weiß jede Mutter, die bei der Geburt gehechelt hat. Dabei handelt es sich jedoch um Akutschmerzen. Bei chron. Schmerzen kann man Hecheln wie man will, das hilft nichts.
All ihre Ausführungen kamen zugespitzt so rüber:
Sie bilden sich ihre Schmerzen auf Grund einer schweren psychischen Störung nur ein. Oder sie täuschen das nur vor, da sie keinen Bock auf Arbeit haben. Sie sind versessen auf Anerkennung und Zuwendung, die sie sich so verschaffen. Wenn sie richtig atmen würden, wäre der Schmerz eh weg. Aber sie wollen ja nicht! Also selbst Schuld!
Sicher hat sie das nicht genau so gesagt, aber für jeden im Raum war klar, die hält uns für bekloppt.
In meiner Vorstellung tauchten Bilder auf, wie ich um 3 Uhr Nachts ein Kantholz über ihren Schädel ziehe, mehrfach! Und dann frage ich, wie es mit dem Wegatmen so klappt.
Ich versagte folglich als Beispielpatientin und meinte, dass sie ihre Theorien ohne mich erklären müsste, da ich das was sie hier erzählt, nicht nachvollziehen oder bestätigen kann.
Mit inzwischen keifiger Stimme: „Nun, ich wollte ihnen ja nicht zu nahe treten. Bei ihnen ist ja einiges anders.“
Mir war zum heulen, aber ich blieb ruhig.
„Sie können mir doch gar nicht zu nahe treten! Sie kennen mich doch gar nicht. Ich kenne sie auch nicht. Da geht das doch gar nicht. Sie sind nur ganz schön laut!“
Dann kam der Brüller schlechthin. Begleitet von einem kleinen Fußaufstampfer:
„Ach, das ist ein Zeichen von Lebendigkeit!“

Da musste ich gehen. Die angesetzte Meditation hätte ich mit meinen immer schwerer zu beherrschenden Lachkrämpfen gestört. Die Hälfte der Leute verließ den Raum, wegen „kann nicht mehr sitzen…“ usw. Auf dem Gang fragte man sich nur 2 Fragen:
„Was war denn das?“ und „Hat die nen Schuß?“
90min. lang diese Psychotante zu ertragen war echt hart. Im Nachgang erfuhr ich, dass es immer so komisch bei der sei und ich mich vergleichsweise gut geschlagen hätte.
Aber:
Für so etwas geben die Kassen Geld aus. Viel Geld.
Da war mir meine orthopädische Reha nach dem Unfall lieber. Da wurde der Schmerz als gegeben akzeptiert. Da gab es keinen Rechtfertigungsdruck. Da wurde sich auf das Körperliche konzentriert und das Psychische etwas mitgemacht.
Hier wurde nun das Körperliche vernachlässigt und alles aus der Psyche hergeleitet. Beides ist zu einseitig, aber könnte ich wählen, wäre ich lieber bei den Ärzten & Therapeuten, die meine Schmerzen & körperlichen Befindlichkeiten ernst nehmen.
Meine Ärztin in der Reha war früher Anästisistin. Die hätte die Veranstaltung wunderbar hinbekommen. Das habe ich auch allen gesagt. Ob sie wollten oder nicht.