Archive für Beiträge mit Schlagwort: Reha

Einer der großen Vorteile wenn man auf dem Arbeitsweg eine Straßenbahn in die Fresse bekommt ist, dass die Berufsgenossenschaften (BG) als Versicherungsträger zuständig sind. Ja, da ist man wer! Besser als Privatpatient sein! Man hat eine Fallbetreuerin, es kann mehr und anders abgerechnet werden und insgesamt geht es doch fürsorglicher zu, als bei den Rentenversicherungsträgern.
Wenn man nun also zur Reha fährt, reiben die sich dort schon die Hände, da einfach viel mehr Kohle fließt.
Ich bekam 2 Vorschläge und zapfte meine Quellen an. Eine Klinik war gleich vom Tisch. Mehrere Berichte von Schmerzpatienten aus meiner ehemaligen Schmerzgruppe rieten mir dringend davon ab. Manch einer wäre schon mit psychotischen Schüben heimgekehrt.
Die andere Klinik hatte überall ein hübsches „Miteinander reden“ stehen. Ist ja erstmal gut. In den Bewertungen war der übliche Mix aus Essensbemeckerern, Sportverweigerern und Zufriedenen zu finden. Öfter mal ein Lob für den Patientenchor und dessen Leitung aber auch gelegentlich heftige Vorwürfe gegen die psychologische Betreuung.
Nun gut, insgesamt erschien es ok auch im Vergleich mit anderen Klinikbewertungen.
Bei den Konzepten stand unter anderem die Gruppentherapie (welche eigentlich eine kostenoptimierte Behandlungsform ist, nach dem Motto „lass die sich mal ausquatschen und voll heulen! Patienten helfen Patienten, da brauchen wir weniger Personal) und dass man sich mit Schmerzpatienten auskennen würde.
Da ich nun schon 2 Jahre in einer Schmerzpatientengruppe gewesen war und alle Vorteile abgefasst hatte, wollte ich nicht mehr in eine solche Gruppe. Inzwischen fand ich diese Gruppentherapien grässlich. Ich hatte keine Böcke mehr, mir die wirklich traumatischen Erfahrungen anderer zusätzlich zu meinem eigenen Shit, anzutun. Ich bin schon ein sehr mitfühlender Mensch und immer bestrebt zu helfen, daher zieht mich anderer Leid und das immer wieder Erzählen der eigenen Story sehr runter. Ich redete mit meinem Arzt, der schrieb in die Rehaunterlagen, dass ich kein Fall für eine Gruppe bin und man mich damit nicht „retraumatisieren“ solle! So vorbereitet und mit dem „Miteinander Reden“ vor dem inneren Auge fuhr ich guten Mutes zur Reha.
Natürlich liest keine Sau den 5seitigen Fragebogen über alles und jedes. Man quält sich durch Fragen wie: „Haben Sie abgetrieben?“, „Wurden Sie als Kind misshandelt?“ oder „wie oft haben Sie Stuhlgang?“. Ein Traum!
Bei Ankunft darf man für den Psychologen gleich nochmal einen fast identischen Bogen ausfüllen. Es machte nichts, dass ich fast überall schrieb: „siehe Bogen 1, dort ausführlich.“ Es las ja eh keiner! Sowas ist respektlos und ignorant. Es entsteht gleich so ein Ungleichgewicht in der Kommunikation. Bringt das diesen Leuten keiner mehr bei oder sind die alle vergesslich oder blöd?
Genervt aber noch mit Eifer dabei, dachte ich noch, dass die das alles nur wissen wollen, um individuell auf mein Thema eingehen zu können.
Falls sich wer fragt, wozu der ganze Scheiß; tja daraus wird der Abschlussbericht zusammen kopiert.
Nach Ankunft hatte ich meine Aufnahmegespräche u.a. mit einen Psychologen, dem Bezugspsychologen.
OMG! Er hatte gerade vor 3 Wochen dort angefangen und machte den Eindruck, dass der Tag an dem er aus dem Ei geschlüpft war, auch nicht weiter zurück lag. Offensichtlich hatte ich mich in den 6 Jahren seit dem Unfall wesentlich intensiver mit der Thematik „chronischer Schmerz“ auseinander gesetzt, hatte Studien gelesen, mit anderen Betroffenen gesprochen, jede Menge Medikamente selbst ausprobiert und fast alle Ärzte (und ihre Ansichten) der Schmerzambulanz eines Krankenhauses kennen gelernt!
Blabla und trallala alle Fragen von vorn. Ich gleich mal angedeutet, dass ich keine Gruppe mache.
Oha, damit hatte ich mich als Störfaktor qualifiziert. Natürlich hatte er auch keine der Begleitunterlagen meiner mich sonst behandelnden Spezialisten gelesen.
„Sie wollen nicht in ihre Bezugsgruppe?“
„Nein! Warum und welche Auswirkungen das hätte, steht ja auch in meinen Unterlagen.“
„Sie müssen da aber rein!“
„Nein.“
„Das ist hier aber unser Konzept!“
…Staunen …
„Unser Konzept sieht das so vor und sie werden schon sehen, wie das ist!“
„Ich weiß wie das ist! Ich war bereits 2 Jahre in einer speziell auf Schmerzpatienten zugeschnittenen Gruppe bei einem Traumatherapeuten! Ich habe all die Vorteile erfahren, aber jetzt bringt mich das nicht weiter. Ich muss in die Zukunft schauen und brauche positiven Input, nicht mehr Gruselerlebnisse anderer!“
„Das geht aber nicht anders, sie machen da mit!“
„Ok, wenn Sie also nicht davon abzubringen sind, dann werde ich jetzt meine Fallbetreuerin bei der BG anrufen und ihr mitteilen, dass man hier nicht in der Lage ist, auf meine individuellen Bedürfnisse einzugehen. Mir ist es nicht möglich, die Reha so anzutreten. Gut, dass ich noch nicht ausgepackt habe!“
„Ach sie sind BG- Patientin?! Vielleicht reden sie morgen nochmal mit dem Oberarzt darüber.“
O.o Mir fiel fast die Kinnlade runter.
Nächsten Tag beim Oberarzt, der sich auch alles erzählen ließ, sich aber nach meinem „ließt denn hier gar keiner die Anamnesebögen“ dafür entschuldigte:
„Sie wollen keine Gruppe?“
„Nein. Weil … etc.pp.“
„Ok.“
Ja, das ging nur, weil die Klinik sonst um 10.000 € weniger bei der BG hätte abrechnen können.
Ich durfte auch über Ostern eine „Heimübernachtung“ haben, also zu Hause schlafen. Aus sozialen Gründen, da ich ein Kind habe. Aber auch da hieß es zuerst, dass geht gar nicht.
„Naja, sie sind ja BG-Patientin. Da haben sie ja nochmal Glück gehabt.“

Ich frage mich wirklich, welches Menschenbild die Verantwortlichen dort teilweise haben. Ich habe also Glück, wenn ich innerhalb von 4 Wochen mal eine Nacht bei meiner Familie sein darf.
Ich habe gelernt für mich zu kämpfen und mir Bullshit nicht bieten zu lassen. Aber es gibt viele Menschen, die das nicht können und daran zerbrechen.
Nicht umsonst waren im 3-Stöckigen Atrium der RehaKlinik jeweils in Etagenhöhe Fangnetze aufgespannt.

In der Rehaklinik werden ca. 350 Leute betreut. Ein kleiner Teil davon sind Schmerzpatienten. Einige noch ganz am Anfang, dankbar über jeden Austausch mit anderen Schmerzpatienten, jede Information & bereit alles zu probieren, was irgendwie Hilfe verspricht. Auch hier ist von schlicht bis intellektuell kompliziert alles vertreten.
Auf der anderen Seite sind Menschen, die leiden schon sehr lange. Eine Patientin hat nach einem Sturz seit 43 Jahren immer Schmerzen. Sie erträgt Berührungen kaum, sie ist dick von den Medikamenten & der so lange eingeschränkten Beweglichkeit. Sie ist nicht gesprächig, aber lieb und mitteilsam, wenn man den richtigen Ton trifft. Sie wird zu Hause durch einen guten Traumatherapeuten betreut, der sie seit Jahren in ihrem Lebenskampf unterstützt.
Mein Unfall war am 08.02.08. Seit diesem Tag habe ich nur dann keine Schmerzen, wenn ich in Vollnarkose auf einem OP-Tisch liege. Die Skala geht bei „so ein entzündliches Buckern im Hintergrund“ los & hört auf bei „entmenschtes zuckendes Fleisch“, ein Schmerz so heiß & weiß, er löscht meine Persönlichkeit aus, er raubt mir die Stimme und allen Mut! Nur Morphintropfen helfen dann noch.
Der mich nach 2OPs am Gleichgewichtsorgan, gegen den starken Drehschwindel (der ist fast weg), immer öfter begleitende Tinnitus, ständige Schulterschmerzen (Impingementsydrom) und ein Ödem im Handgelenk sind nur einige weniger spektakuläre Begleiterkrankungen aber trotzdem richtig Kacke.
Ich habe 2x ca. 2 Wochen lang eine Infusionstherapie gegen Tinnitus gemacht (ohne Erfolg), ich habe 1 Woche Neurologie mit Hirnleistungstests geleistet usw. usf.!
Ich lese alles zum Thema Schmerz, ich habe 2 Jahre Gruppentherapie mit anderen Schmerzpatienten hinter mir. Ich habe nur damit aufgehört, weil ich das Leid anderer und ihren Kampf nicht mehr mit anhören konnte, ohne zu verzweifeln.
Ich habe inzwischen gute Ärzte und ebendiesen Traumatherapeuten und ich probierte jedes Medikament. (Nur die Sache mit dem Chillipflaster haben die Ärzte und ich uns dann doch nicht getraut, da es im Gesicht noch nie gemacht wurde.)
Aber auch mich treibt die Hoffnung, dass es etwas od. Jemanden gibt, der mir etwas für meinen Kampf an die Hand gibt.
So sitzen wir also da, alle 15 Schmerzies in der Veranstaltung „Schmerzbewältigung“. Der Raum hat an 3 Seiten bodentiefe Fenster, draußen scheint die Sonne. Für Depressive sicher super, für jeden Schmerzpatienten suboptimal. (Wer Migräne oder einen schweren Kater hat, weiß, wie sich grelles Licht anfühlen kann! Genau, schmerzhaft! )
Ich sitze da also mit Sonnenbrille, sehr cool, wie Lagerfeld.
Die Psychologin, die uns heute was zum Thema Schmerzbewältigung erzählen will, kommt zu spät. Alle hocken unbequem auf dem Gestühl und wünschen sich weg.
Natürlich ist meine Sonnenbrille gleich mal ein „ach, mit Sonnenbrille, haben sie vergessen, die abzunehmen?“ wert.
Ich bin das ja gewöhnt, da ich schon in der sehr grell beleuchteten Berliner U-Bahn dafür angepöbelt wurde und erkläre in kurzen ruhigen Sätzen, was es damit auf sich hat.
Trotzdem hatte sie mich nun zu ihrem Beispielpatienten erkoren. Ich sollte nun ihre Aussagen bestätigen.
Was ich nicht wußte, war, dass sie das schon mit einer anderen Patientin in der letzten Veranstaltung zum Thema Schmerzen, vor meiner Anreise, versucht hatte. Es war in Stress, Tränen, Beschimpfungen und Verzweiflung geendet.
Nun warteten die erfahrenen Teilnehmer, wie ich mich schlagen würde, zumal einige mich bei „Körperwahrnehmung“ schon erlebt hatten.
Es ging anfangs um Atmung & Entspannung. Nette Handouts wurden nicht etwa herum gegeben, sondern auf den Boden gelegt, so dass sich jeder bücken musste. Als Jemand alle aufhob und auf einen Stuhl legte, legte sie alle wieder auf den Boden. War es unbewusst oder Masche, egal. Diese Frau konnte Patienten nicht leiden. Das wurde mir hier klar.
Soweit so gut. Das Atmung und Entspannung zusammen hängen, weiß jede Mutter, die bei der Geburt gehechelt hat. Dabei handelt es sich jedoch um Akutschmerzen. Bei chron. Schmerzen kann man Hecheln wie man will, das hilft nichts.
All ihre Ausführungen kamen zugespitzt so rüber:
Sie bilden sich ihre Schmerzen auf Grund einer schweren psychischen Störung nur ein. Oder sie täuschen das nur vor, da sie keinen Bock auf Arbeit haben. Sie sind versessen auf Anerkennung und Zuwendung, die sie sich so verschaffen. Wenn sie richtig atmen würden, wäre der Schmerz eh weg. Aber sie wollen ja nicht! Also selbst Schuld!
Sicher hat sie das nicht genau so gesagt, aber für jeden im Raum war klar, die hält uns für bekloppt.
In meiner Vorstellung tauchten Bilder auf, wie ich um 3 Uhr Nachts ein Kantholz über ihren Schädel ziehe, mehrfach! Und dann frage ich, wie es mit dem Wegatmen so klappt.
Ich versagte folglich als Beispielpatientin und meinte, dass sie ihre Theorien ohne mich erklären müsste, da ich das was sie hier erzählt, nicht nachvollziehen oder bestätigen kann.
Mit inzwischen keifiger Stimme: „Nun, ich wollte ihnen ja nicht zu nahe treten. Bei ihnen ist ja einiges anders.“
Mir war zum heulen, aber ich blieb ruhig.
„Sie können mir doch gar nicht zu nahe treten! Sie kennen mich doch gar nicht. Ich kenne sie auch nicht. Da geht das doch gar nicht. Sie sind nur ganz schön laut!“
Dann kam der Brüller schlechthin. Begleitet von einem kleinen Fußaufstampfer:
„Ach, das ist ein Zeichen von Lebendigkeit!“

Da musste ich gehen. Die angesetzte Meditation hätte ich mit meinen immer schwerer zu beherrschenden Lachkrämpfen gestört. Die Hälfte der Leute verließ den Raum, wegen „kann nicht mehr sitzen…“ usw. Auf dem Gang fragte man sich nur 2 Fragen:
„Was war denn das?“ und „Hat die nen Schuß?“
90min. lang diese Psychotante zu ertragen war echt hart. Im Nachgang erfuhr ich, dass es immer so komisch bei der sei und ich mich vergleichsweise gut geschlagen hätte.
Aber:
Für so etwas geben die Kassen Geld aus. Viel Geld.
Da war mir meine orthopädische Reha nach dem Unfall lieber. Da wurde der Schmerz als gegeben akzeptiert. Da gab es keinen Rechtfertigungsdruck. Da wurde sich auf das Körperliche konzentriert und das Psychische etwas mitgemacht.
Hier wurde nun das Körperliche vernachlässigt und alles aus der Psyche hergeleitet. Beides ist zu einseitig, aber könnte ich wählen, wäre ich lieber bei den Ärzten & Therapeuten, die meine Schmerzen & körperlichen Befindlichkeiten ernst nehmen.
Meine Ärztin in der Reha war früher Anästisistin. Die hätte die Veranstaltung wunderbar hinbekommen. Das habe ich auch allen gesagt. Ob sie wollten oder nicht.

Arztpraxen, Krankenhäuser, Rehaeinrichtungen & andere med. Einrichtungen sind ebenfalls hervorragende Inkubatoren für jede Art von übergriffigem Gelaber, Ignoranz & Unsensibilitäten, eben Dialogen aus der Hölle. Empathie oder / & Humor Fehlanzeige.
Ich versuche das mit Humor zu nehmen. Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass manche Sätze bei betroffenen Menschen große Traurigkeit, Frustration & Wut auslösen & sie hilflos & mit Selbstzweifeln beladen zurück läßt.

Reha 8 Uhr, Körperwahrnehmung (sich mit Schaumstoffbällen o.ä. bewerfen, bis einem die Arme abfallen)
Therapeutin ca. 28J., Persönlichkeit wie angeknipst ähnlich einer Kindergärtnerin.
Tür auf, Licht an, 10 Schmerzpatienten reagieren, als wären sie Vampire und hätten die Sonne gesehen,
stöhnen & verlagern vorsichtig das Gewicht auf dem Schemel.
„Und geht’s gut?“ wird der 1. mit voller Lautstärke gefragt.
Wie immer, wenn es Scheiße geht, man will, dass es schnell vorbei geht & man das aber gerade nicht thematisieren will, lautete die Antwort:“geht so.“
4 mal Gebrülle & 4 leise gemurmelte „geht so“s später bin ich dran. Nun hatte ich inzwischen eine gewisse Aversion gegen dieses Ritual entwickelt. Also: „mir geht’s heute gar nicht gut! Mir tut alles weh!“
Mehrere gestöhnte „ditos“ klangen aus den Ecken.
OMG! Funkelnde Augen, Schäm-dich-Blick & bereit zum Angriff!
„Und? Was machen sie dagegen??“ werde ich mit durchdringender Stimme gefragt.
Ich konnte nicht mehr an mich halten: „Ich sattle mein Pferd & rette die Welt!“ Oh Mist! Da hatte ich ja was verbrochen! Sie nimmt’s persönlich, ist vollkommen humorbefreit & ich bin gemerkt.
„Warum sind sie denn so sarkastisch zu mir am frühen morgen? Schließlich muss ich mich für die Patienten hier interessieren!! Das ist nicht ok von ihnen & ich kann ja auch nichts dafür.“
Blah, Blah, geht so nicht.., gemein der Gruppe gegenüber, negative Einstellung… blah, blah.“
Es wurde nichts mehr mit uns. Hätte ich den Mund aufgemacht, hätte ich ihr sagen müssen, dass es mir so leid tut, dass sie es so schwer mit Patienten wie mir hat & dass ich eigentlich Mitleid mit ihr habe, dass sie sich für ihre Patienten interessieren MUSS.
Also Klappe halten, die beleidigte Leberwurst ausschluchzen lassen & sich dann noch gegenseitig ein paar Igelbälle über der Hintern rollen!
Ab da war ich sowohl in der Einzeltherapie als auch in den Gruppentherapien als Staatsfeind Nr. 1 gespeichert. Es gab immer den einen oder anderen kleinen passiv- aggressiven Spruch.
Dabei hätte es so einfach sein können!
Wie wärs mit einem freundlichen Lächeln, villt. noch einem „Tut mir leid. Dann machen sie nur das mit was geht.“ & weiter im Text!

Sport frei!